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Vernachlässigungen

Definition

Entsprechend der Unterscheidung von Garbarino und Gilliam (1980) umfasst der Begriff der Vernachlässigung alle Formen von Unterlassungen durch Betreuungspersonen, die eine Gefährdung bzw. Schädigung der körperlichen, geistigen und seelischen Entwicklung zur Folge haben. Zu den relevanten Unterlassungen gehören die unzureichende Pflege, Kleidung, Ernährung und gesundheitliche Fürsorge des Kindes ebenso wie zu wenig Zuwendung, Beaufsichtigung, Anregung und Förderung (vgl. z.B. Deegener und Körner 2005). Schone u.a. 1997 definieren Vernachlässigung für den deutschsprachigen Raum als „andauernde oder wiederholte Unterlassung fürsorglichen Handelns sorgeverantwortlicher Personen (Eltern oder andere von ihnen autorisierte Betreuungspersonen), welches zur Sicherstellung der physischen und psychischen Versorgung des Kindes notwendig wäre.“

Ergebnisse

In einer retrospektiven Studie (Häuser u.a. 2011) wurden Jugendliche und Erwachsene zu ihren Vernachlässigungs- und Misshandlungserfahrungen in Kindheit und Jugend befragt. Werden auch geringere Erfahrungen von Vernachlässigung einbezogen, berichten fast 50% der Befragten von körperlicher und/ oder emotionaler Vernachlässigung. Schwere körperliche Vernachlässigung lag bei 10,8% und schwere emotionale Vernachlässigung bei 6,6% der Befragten vor. 

Nicht-repräsentative Daten legen schon längere Zeit die Vermutung nahe, dass Kindesvernachlässigung die mit Abstand häufigste Gefährdungsform, der im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe bekanntwerdenden Fälle darstellt. In ihrer Tendenz wird diese Aussage auch dadurch untermauert, dass sich die Situation in allen Ländern, in denen bislang die Häufigkeit verschiedener Formen von Kindeswohlgefährdung untersucht wurde, ähnlich gestaltet (Galm u.a. 2010, 38-40). 

Eine empirische Bestätigung hierzu liefern aktuelle Daten der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik: In rund 58% der akuten und latenten Kindeswohlgefährdungen, die 2023 in Jugendämtern erfasst wurden, ging es um Vernachlässigungen. Insgesamt wurden in 36.950 akuten oder latenten Gefährdungslagen, die 2023 im Rahmen eines Verfahrens nach § 8a SGB VIII in Jugendämtern beraten worden sind, Vernachlässigungen als ursächlich oder mitursächlich für die Kindeswohlgefährdung dokumentiert. In 3.094 dieser Verfahren waren die betroffenen Kinder unter einem, in 4.405 Fällen ein oder zwei Jahre alt. 

Allerdings kann aus methodischen und inhaltlichen Gründen von der Zahl der von Gefährdungsmeldungen und –einschätzungen betroffenen Kinder nicht auf die Prävalenz von Kindesmisshandlung in Deutschland geschlossen werden. Nähere Erläuterungen zur Aussagekraft der „8a-Statistik“ finden sich hier.

Abb. 1: Anteil von Vernachlässigungen bei akuten und latenten Kindeswohlgefährdungen in verschiedenen Altersgruppen (Deutschland; 2023, in Prozent)

Quelle: Statistisches Bundesamt (2024): Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe. Gefährdungseinschätzungen nach § 8a SGB VIII 2023.

Literatur

  1. Deegener, G./Körner; W. (Hrsg.) (2005): Kindesmisshandlung und Vernachlässi-gung. Ein Handbuch. Hogrefe-Verlag, Göttingen.
  2. Garbarino, J./Gilliam, G. (1980): Understanding abusive families. Lexington Books, Toronto.
  3. Galm, B., Hees, K., Kindler, H. (2010): Kindesvernachlässigung – verstehen, erkennen und helfen. Ernst Reinhardt Verlag, München.
  4. Häuser, W., Schmutzer, G., Brähler, E., Glaesmer, H. (2011): Misshandlungen in Kindheit und Jugend. Ergebnisse einer Umfrage in einer repräsentativen Stichprobe der deutschen Bevölkerung. Deutsches Ärzteblatt, 17, 287-294.
  5. Schone, R./Gintzel, U./Jordan, E., Kalscheuer, M., Münder, J. (1997): Kinder in Not. Vernachlässigung im frühen Kindesalter und Perspektiven sozialer Arbeit. Votum-Verlag, Münster.